Eine gute und solide Beziehung zwischen Abnehmer und Lieferant ist nicht nur eine Frage von belastbaren Verträgen, einem angemessenen Preisniveau und der Häufigkeit des gegenseitigen Austauschs. Sie ist auch stark abhängig von der operativen Zusammenarbeit. Wird durch den Einkauf Material beschafft, kauft man neben dem physischen Produkt auch die logistische Abwicklung, Kommunikationsprozesse und die Zuverlässigkeit der Produktions-/Pufferkonzepte ein – inklusive aller potentiellen Stressfaktoren wie der operativen Hektik.
Die Qualität der Lieferanten unterscheidet sich in diesen kritischen Punkten oft erheblich. Daher verwundert es, dass die logistischen Fragestellungen in einer Vielzahl von Unternehmen (außerhalb der Automobilbranche) bisher nicht über einen A- und B-Preis hinausgehen. Dabei ist das Potential des logistischen Lieferantenmanagements enorm.
- Alles beginnt bei der Materialverfügbarkeit
Viele Industrieunternehmen mussten während der Corona-Krise (und in den damit verbundenen Lockdowns) insbesondere im Supply Chain Management schmerzhaft feststellen, dass ohne Material keine Produktion möglich ist und dass das schwächste Glied die Stärke der Kette ausmacht. Im Klartext: Fehlt von den 10.000 Teilen eines PKWs auch nur ein einziges Stück, kann der PKW nicht produziert werden. Folglich wird die Materialversorgung zum entscheidenden Faktor für die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens.
Generell ist dieser Faktor in abgeschwächter Form auch außerhalb von Krisenzeiten gegeben. Der Einfluss fehlender Teile bedeutet letztendlich eine schlechtere Auslastung der Produktion, höhere Aufwände für Rüstungen, Umplanungen und damit eine Verschlechterung der Liefertreue von anderen Lieferanten. Dies wiederum führt zu neuen Umplanungen. Hinzu kommen hohe Aufwände in den dispositiven Bereichen und langfristig zu hohe Lagerbestände, da das vorhandene Material nicht verwendet werden kann. Ein Blick auf die Produktivitätskennziffern des Unternehmens zeigt somit schnell, welche Bedeutung bzw. welchen monetären Wert die Materialverfügbarkeit hat.
- Materialverfügbarkeit erhöhen und Kosten für Bestände reduzieren
Um eine stabile Produktion sicherzustellen, sind Prüfungsprozesse notwendig. Diese beschäftigen sich mit adäquaten Pufferkonzepten die im richtigen Verhältnis zur Produktionszeit, vorhandenen Frozen Periods, Transportzeiten, Abrufzyklen und zur Zuverlässigkeit der Lieferanten stehen. Dem Versuch, alle Probleme über mehr Bestand zu lösen, schiebt die goldene Regel der logistischen Integration einen Riegel vor: Alle Kosten der Supply Chain übernimmt langfristig der Abnehmer! Dies gilt eben auch für Bestände und selbst dann, wenn diese Bestände beim Lieferanten liegen. Ist die Zielrichtung also immer die physische Bestandssenkung? Nein, denn die ist konfliktär zu dem Wunsch nach höherer Materialverfügbarkeit.
Pufferkonzepte sind für die meisten Lieferbeziehungen unabdingbar, denn nur wenige Lieferanten bieten dem Abnehmer genug Flexibilität, um einen Just-In-Time-Prozess direkt aus der Produktion aufzubauen. Die logistische Integration sucht und findet daher Lösungen, die sowohl die Materialverfügbarkeit erhöhen, als auch die Kosten von Beständen für den Abnehmer reduzieren. Werden Stärken und Schwächen einbezogen und folgerichtige Konzepte etabliert, finanzieren sich notwendige Bestände über die durchgeführte Optimierung. Insbesondere lokale Versorgungskonzepte (Zolllager, Konsignationslager) führen dabei zu einer hohen Materialverfügbarkeit und geringen Bilanzbeständen beim Abnehmer – wenn sie angemessen eingesetzt und mit dem Lieferanten partnerschaftlich entwickelt und umgesetzt werden. Bestandseffekte sind dabei leicht zu messen und die erzielbaren Erfolge sind meist groß genug, um eigene Projekte im Lieferantenmanagement anzustoßen.
- Fehlende Prozessruhe sorgt für geringere Materialverfügbarkeit
Die oben genannte goldene Regel der Lieferantenintegration, „alle Kosten der Supply Chain trägt langfristig der Abnehmer“, trifft im doppeltem Maße auf die Prozessruhe zu. Operative Hektik und Firefighting verursachen nicht nur Kosten auf der eigenen Seite, sondern in gleichem Umfang auch auf der Lieferantenseite. Im Endeffekt werden die Kosten für fehlende Prozessruhe somit doppelt bezahlt: über Rüstungen, Personalkosten und zusätzlich über den Artikelpreis. Die fehlende Prozessruhe kann oft als eine Vorstufe des „Stock-Outs“ gesehen werden. Zuerst geht die Prozessruhe verloren, dann die Materialverfügbarkeit. Eine gut durchgeführte Lieferantenintegration kann daher dabei helfen, Hektik zu vermeiden und für Prozessruhe zu sorgen.
- Transportkosten können langfristig gesenkt werden
Im Transportnetzwerk ergeben sich durch die Lieferantenintegration zwei gegensätzliche Effekte: Eine beschleunigte Transportfrequenz bei allen Versorgungsklassen, die auf die Flexibilität der Lieferanten in ihrer Produktion bauen (z.B. Kanban-, JIT- und JIS- Prozessen) und eine verlangsamte Transportfrequenz bei allen Versorgungsklassen, die auf lokale Bestandskonzepte setzen (z.B. Konsignationslager, VMI und Zolllager). Da die Anzahl der Lieferanten, welche sich insgesamt für verlangsamte Transportzyklen eignen, überwiegt, ergibt sich in einem Lieferantenintegrationsprojekt meist auch eine Reduktion der Transportkosten. Die Höhe der Potenziale liegt dabei meist im kleinen ROI-Bereich und ist stark abhängig von der eigenen FCA-Quote sowie von der vorhandenen Flexibilität der Lieferanten in den Produktionsprozessen.
Fazit
Abschließend lässt sich festhalten, dass Projekte im logistischen Lieferantenmanagement meist über Bestands- und Transportkostenziele ins Leben gerufen werden. Dabei führen sie ebenfalls zu einer höheren Materialverfügbarkeit und größeren Prozessruhe – zwei wertvolle Assets, die man im Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit des Gesamtunternehmens nie außer Acht lassen sollte. Allgemein sind die Potenziale und Vorteile in Summe oft so signifikant, dass das logistische Lieferantenmanagement nach einem initialen Projekt meist als eigenständige Einheit in die Organisation integriert wird.