Die Verteilung der industriellen Wertschöpfung ist mehr denn je durch Spezialisierung und Knowhow-Verteilung geprägt − oft sind mehr als 60 Prozent der Wertschöpfung an zuliefernde Unternehmen ausgegliedert, arbeitsteilige Prozesse prägen die Lieferketten. Das wirtschaftliche Zusammenspiel von Lieferanten und Abnehmern ist daher in der Regel eng wechselseitig abhängig und damit entscheidend für den Unternehmenserfolg geworden. Dessen sind sich nicht immer alle Marktteilnehmer bewusst. Man müsste zudem erwarten, dass die externe Wertschöpfung und ihre Schnittstellen eine dementsprechend große Aufmerksamkeit in den Optimierungsprozessen der Unternehmen erhalten. Mit dem typischen Argument, dass der jeweilige Lieferant für seine Optimierung selbst verantwortlich sei, geht das Lieferantenmanagement aber meist nicht über klassische Einkaufsthemen wie Lieferantensuche, Ausschreibung, Preisfindung und operative Steuerung der Geschäftsbeziehung hinaus.
Folgende Aufgabenstellungen zeigen, warum der inhaltliche Einsatz des Lieferantenmanagements deutlich größer gefasst werden und man nicht auf seine Ergebnisse verzichten sollte:
Prozesse optimieren: Die Kosten eines Unternehmens werden durch den getätigten Umsatz, also im Wesentlichen durch verkaufbare Produkte oder Dienstleistungen (Kostenträger) getragen. Dadurch wird der Abnehmer Nutznießer, aber auch Risikoträger der Prozesse der Lieferanten – er ist mit allen Kosten belastet. Stehen nicht beliebig viele Lieferanten zur freien Auswahl und sind bestimmte Fähigkeiten eines Zulieferers ausschlaggebend für seinen Einsatz, funktioniert der oft zitierte Marktdruck als Optimierungsmotivator nicht oder zumindest nicht vollständig. Ein Lieferant erarbeitet Effizienzsteigerungen mutmaßlich zu seiner eigenen Ergebnisverbesserung. Das Lieferantenmanagement muss Beurteilungskompetenz besitzen und einsetzen, um zu erkennen, in welchen Bereichen und in welcher Form Prozessoptimierungen bei den Lieferanten notwendig sind. Zudem sollte es die folgenden Fragen beantworten können: Gab es Veränderungen in den für den Abnehmer relevanten Prozessen bei den Lieferanten? Kommt das Ergebnis der Optimierung beim Abnehmer adäquat an (Preis)? Stimmt die Zielrichtung der Optimierung bei den Lieferanten mit den Zielen des Abnehmers überein? All diese Fragen lassen sich natürlich nicht ohne eine gewisse Nähe zu den Lieferanten und ihren Prozessen beantworten.
- Komplexität beherrschen: Erhöht sich die Materialvielfalt in der Lieferkette und lassen sich daraus resultierende Mehraufwendungen (z. B. in Transport, Lagerung, Handling, Produktion und Distribution) nicht auf den Produktpreis zum Kunden übertragen, sinkt die eigene Umsatzrendite. Steigerungen der Prozesseffizienz sind über die gesamte Lieferkette hinweg notwendig, um die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten oder zu verbessern – die schlichte Fokussierung auf die eigenen internen Prozesse greift hier deutlich zu kurz. Ein Komplexitätsmanagement muss versuchen, Einflussgrößen und Rahmenbedingungen der Wertschöpfung bei den Lieferanten zu identifizieren. Vermeidbare Preissteigerungen sollten durch gezielte Maßnahmen in den Lieferketten identifiziert und verhindert werden.
- Am Kunden ausrichten: Oftmals verlangt die Kundenseite signifikant kürzere Reaktionszeiten, als dies die eigene Lieferantenbasis abbilden würde. Dieses in der Praxis häufig anzutreffende Szenario führt zu schwankenden Produktionsplänen, Materialengpässen, Teileverschrottungen und einem sehr hohen manuellen Steuerungsaufwand. Die Aufgabe des Lieferantenmanagements liegt somit in der Harmonisierung der Kunden- mit den Lieferantenanforderungen, um eine möglichst hohe Prozessstabilität zu erreichen. Ansatzpunkte sind die Neugestaltung von logistischen Prozessen, Steuerungsmechanismen und der IT-Infrastruktur.
- Verantwortung übernehmen: Wie in Teilen der EU bereits umgesetzt, wird auch das im September im Bundestag diskutierte Lieferkettengesetz wohl in Kürze Realität für Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten in Deutschland werden. Unter gewissen Umständen können solche Betriebe dann für Verstöße ihrer Lieferanten in den Bereichen Menschenrechte und Umwelt in Haftung genommen werden. Ein aktives Lieferantenmanagement ist dabei das Mittel der Wahl, die Einhaltung von gesetzlichen Vorgaben zu überprüfen sowie die Durchsetzung von Ethikzielen des eigenen Unternehmens auf den Vorstufen der Lieferkette zu forcieren.
Fazit: Die Arbeit an der eigenen Wettbewerbsfähigkeit bedeutet folgerichtig auch die Arbeit an den Prozessen der eigenen Lieferantenbasis. Die Kompetenzen des Lieferantenmanagements gehen dabei deutlich über die klassischen Aufgaben des Einkaufs hinaus und liegen u. a. in der Produktionssteuerung, in der Logistik, im Lean Management, in der Vertragsgestaltung und der IT. Die Vorteile eines professionellen Lieferantenmanagements liegen somit in einer positiven Kosten- und Preisentwicklung, einer erhöhten Stabilität der Materialversorgung und einer Compliance-gerechten Wertschöpfung im eigenen Unternehmen und auf den Vorstufen.
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